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Geflohen aus Rakka, gefangen in der Wüste – ohne ausreichend Wasser und Nahrung

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Nicht genug sauberes Wasser und kaum Waschmöglichkeiten oder Toiletten: So leben die Menschen im Camp in der Wüste bei Rakka, Syrien. © ICRC/ Ingy Sedky

Während nach UN-Schätzungen über 200.000 Menschen vor den Kämpfen um die syrische Stadt Rakka fliehen konnten, ist das Schicksal Tausender noch ungewiss, die in der Stadt eingeschlossen sind. Doch wie geht es den vielen Geflüchteten? Ingy Sedky vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz berichtet aus den Camps außerhalb der umkämpften Stadt. Der Blogbeitrag erschien zuerst auf englisch hier: blogs.redcross.org.uk

Ein trauriger Ort in der Wüste

Ich habe über ein Jahr lang in Syrien für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) gearbeitet und viel gesehen und gehört. Aber was ich in den Lagern um Rakka sah, schockierte mich zutiefst.

„Mach‘ ein Bild“, sagte der Mann zu mir, als er meine Hand nahm. „Zeige der Welt, wie wir leben.“ Er brachte mich zu seiner kleinen Tochter, die in einem Becken mit verschmutztem, schlammigem Wasser badete. Seine Familie hatte einst ein Haus mit fließendem Wasser und allem, was sie brauchten, man ging zur Arbeit und zur Schule, man aß gemeinsam. Doch das ist Vergangenheit. Sie gehören zu den 205.000 Menschen, die nach Schätzungen der Vereinten Nationen kürzlich aus Rakka geflohen sind und nun in extrem einfachen, provisorischen Camps in der Wüste leben.

In Zelten und Behelfsbehausungen warten die Menschen auf HIlfe und bessere Zeiten. © ICRC/ Ingy Sedky

Die Menschen haben bereits Schreckliches durchgemacht, nur um in diese Lager zu kommen, die weit außerhalb der Stadt liegen. Um aus Rakka zu fliehen, mussten sie den Fluss Euphrat überqueren. Manche wurden dabei angeschossen oder ertranken. Dann mussten sie Tage um Tage laufen, manchmal brauchten sie sogar Wochen, um die Camps zu erreichen. Eine gefährliche Odyssee, denn die Außenbezirke der Stadt sind mit Landminen übersät.

Überall weinende Kinder

Familien mit Kindern, Behinderte und ältere Menschen, sie alle haben viel erlitten. Wenn sie in den Lagern ankommen, bietet sich ein trostloser und menschenunwürdiger Anblick. Es gibt nicht genug Wasser, Essen oder Obdach. Eine medizinische Versorgung und sogar Toiletten sind kaum vorhanden.

Mutter mit weinendem Kind
Eine Mutter tröstet ihre weinende dreijährige Tochter. Die Hitze und die Perspektivlosigkeit sind schwer zu ertragen. © ICRC/ Ingy Sedky

Und die Hitze ist unerträglich – es herrschen bis zu 45 Grad Celsius. Niemand kann lange so hohe Temperaturen überstehen. Vielleicht ein paar Stunden lang, aber stellen Sie sich vor, Sie würden drei oder vier Monate dort leben. Besonders hart ist es für Kinder. Wir trafen so viele weinende Kinder, sahen in ihre unschuldigen Gesichter, gezeichnet von der drückenden Hitze und vom Schmerz.

Auf seinem Handy zeigt mir ein Vater das Foto eines neugeborenen Mädchens. Was ein stolzer Moment hätte sein sollen, ist schrecklich, denn das Baby war bereits wegen der Hitze und fehlender medizinischer Versorgung gestorben.

Eines der Lager, Arisha, befindet sich auf dem Gelände einer alten Erdölraffinerie. Altlasten und Abfälle kontaminieren das Wasser. Aber die Menschen hier haben keine andere Wahl und trinken es trotzdem. „Würdest Du dieses Wasser trinken?“, fragten mich die Leute. „Würdest Du an diesem Ort schlafen?“

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) verteilt gemeinsam mit dem Syrisch-Arabischen Roten Halbmond jeden Tag 6.000 Flaschen Wasser im Lager Arisha. Doch auch das ist nicht genug. In den nächsten Wochen werden wir auch saubere Wasserkanister verteilen und etwa im Camp Tuheyneya ausreichend Wassertanks und Toiletten für 2.000 Menschen installieren.

Zivilisten müssen geschützt werden

Sporadisch treffen Hilfsgüter und Nahrungsmittel ein, um die Menschen im Flüchtlingscamp bei Rakka, Syrien zu versorgen. © ICRC/ Ingy Sedky

Nachdem ich diese schlimmen Szenen erlebt hatte, fühlte ich mich nicht wie eine IKRK-Mitarbeiterin, die kommt, um Menschen zu helfen. Mir ist so, als würde ich das selbst durchmachen müssen. Was unterscheidet sich zwischen ihnen und mir? Der einzige Unterschied ist, dass ich an einem anderen Ort geboren wurde, in einer anderen Zeit.

Zivilisten werden in Kriegen nicht ausreichend geschützt, sei es in Syrien, im Jemen, im Irak, im Südsudan oder anderswo. Diese besorgniserregende Entwicklung bringt jeden von uns in Gefahr.

Rakka war für das IKRK vier Jahre lang nicht zugänglich und wir konnten den Bewohnern keine Hilfe leisten. Diejenigen, die kürzlich entkommen sind, sagen uns, dass es in Rakka noch Essen gibt, aber es ist sehr, sehr teuer geworden. Die meisten Familien können sich die Kosten für eine tägliche Mahlzeit nicht leisten. Viele Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäuser wurden durch Kämpfe unbrauchbar, so dass die Menschen keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Eine Mutter sagte zu mir: „In Rakka ist die Hölle, aber die Flucht ist auch die Hölle.“

Warum ich noch immer Hoffnung habe

Der Besuch im Camp wird neugierig begrüßt. Rund die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder. © ICRC/ Ingy Sedky

Wenn die Medien die Menschen von Rakka zeigen, sehen sie zerzaust und hilflos aus. Es ist wichtig, immer wieder daran zu erinnern, dass sie vor dem Konflikt genauso wie wir waren und ein normales Leben führten.

So wie der Vater, der sein Kind in schmutzigem Wasser badete, versuchten die Leute, die ich in den Camps traf, der Welt ihre Geschichte zu erzählen. Ich denke oft an die vielen anderen Geschichten, die wir nicht hören konnten. Aber wenn wir der Welt berichten, was man uns erzählte, geht das Erlebte nicht verloren. Sechs Jahre Leid, sechs Jahre unmenschliche Bedingungen, das ist zu lang. Wir müssen diesem Leid ein Ende bereiten.

» Hier erhalten Sie weitere Informationen zur Syrien-Krise

» In unserem Spendenshop für Syrien können Sie helfen

» Das Britische Rote Kreuz hat » hier ebenfalls zum Spenden aufgerufen

Anmerkung:

Ingy Sedky besuchte die Camps im Spätsommer, die Lage ist jedoch nicht grundlegend anders. Eine Rückkehr ist für die Menschen wegen anhaltender Kämpfe und der Verminung ihrer Wohngegenden immer noch schwierig. Nach der unerträglichen Hitze folgt im Winter das andere Extrem. Die provisorischen Behausungen bieten nur sehr wenig Schutz vor der drohenden Kälte. Deshalb muss die Hilfe unbedingt fortgesetzt werden.

 

 

 

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